Zum Inhalt: Berlin 1938: Otto Silbermann ist ein jüdischer Geschäftsmann und mit einer Deutschen verheiratet. Durch die Rassengesetze und die Reichsprogromnacht ändert sich das Leben von Otto Silbermann und tausenden anderen Juden aufs Unvorstellbare.
Eigentlich will Otto nur noch ein letztes Geschäft abschließen und dann mit seiner Frau Deutschland endgültig den Rücken kehren, doch dazu kommt es nicht mehr. Sein Sohn, der bereits in Frankreich lebt, schafft es nicht, gültige Ausreisegenehmigungen zu erwirken.
Als Otto Silbermann Zuhause fast verhaftet wird, gelingt ihm in letzter Sekunde die Flucht. Seine Frau flieht zu ihrem Bruder und ist dort als Nichtjüdin in Sicherheit. Otto Silbermann weiß nicht, wohin er gehen soll. Seine Freunde haben sich von ihm abgewandt, Hilfe hat er dort keine mehr zu erwarten. In heutigen Zeiten will niemand mehr mit einem Juden befreundet sein. Also setzt er sich in den Zug und reist quer durch Deutschland….
Meine Meinung:
Das Buch, welches zwar schon 1939 in England und 1940 in Amerika erschienen ist, ist nun erstmals lektoriert und auf Deutsch erschienen. Der Autor Ulrich Alexander Boschwitz hat es mit gerade 23 Jahren geschrieben, zum Teil sind seine eigenen Erlebnisse und Erfahrungen in der Geschichte von Otto Silbermann mit eingeflossen.
Ein erschütterndes Zeitdokument, dass dem Leser ganz klar vor Augen führt, wie sich das „normale“ Leben der jüdischen Bevölkerung innerhalb kürzester Zeit zu einem Leben ohne Rechte und Perspektiven gewandelt hat. Otto Silbermann verliert nicht nur seine Firma, sein Haus, seine Familie, seine Rechte, sondern – am Schluss – auch seinen Verstand. Was vielleicht auf eine gewisse Art und Weise sogar barmherzig sein mag. Denn anders hätte man den Wahnsinn, der damals in Deutschland Einzug hielt, vermutlich nicht ertragen können. Denn er übersteigt – meiner Meinung nach – jeden gesunden Menschenverstand.
Es war auf eine sehr traurige Art faszinierend, mitzuerleben, wie Silbermann sich vom rechtschaffenden Unternehmer, vom unbescholtenen Bürger, vom Familienvater, vom Kriegshelden zu einem Menschen gewandelt hat, wandeln musste, der unter der Flucht teilweise die gleichen erschreckenden Verhaltensmuster an den Tag gelegt hat, die er den Menschen, die ihm Hilfe verweigerten, vorgeworfen hat. Durch den Verlust jeglicher Rechte und Perspektiven, durch diese „Vogelfreiheit“ hat er ungewollt seine eigene Rechtschaffenheit, seine Werte und Prinzipien verloren. Nur noch das Überleben zählt. Verständlich. Natürlich. Und dennoch erschreckend.
Die Geschichte endet bereits kurze Zeit später. Die wirklichen Gräueltaten gegen die jüdische Bevölkerung haben gerade erst ihren Anfang gefunden.
„Der Reisende“ besticht durch seine Schlichtheit. Jeder Leser kann sich vorstellen, wie die Geschichte enden könnte, denn wie das Leben der meisten Juden nach der Reichsprogromnacht weiterging, ist uns allen hinlänglich bekannt.
Die Geschichte ist ein Plädoyer gegen das Vergessen. Ein Mahnmal dafür, was niemals mehr geschehen sollte. Wir dürfen nicht vergessen. Niemals!
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Weitere Informationen zum Buch findet Ihr hier* auf der Seite vom Klett-Cotta Verlag.
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