[Rezensionsexemplar]

Zum Inhalt:

Seitdem Lina vor einigen Jahren ihre beste Freundin beim Amoklauf an ihrer Schule verloren hat, versucht sie verzweifelt, im Leben wieder Fuß zu fassen. Das Studium in einer anderen Stadt und ein neuer Tanzkurs sollen helfen. Dort begegnet sie Tom, der versucht, ihr Herz zu erobern. Sie will erst nicht, doch er gibt nicht auf und hat irgendwann damit Erfolg.

Doch es ist nicht alles rosarot. Schon bald zeigt Tom Verhaltensweisen, die die glückliche Beziehung zerstören. Und ehe Lina weiß, wie ihr geschieht, steckt sie in einer häuslichen Gewaltbeziehung.

Bei einem Besuch zu Hause begegnet ihr Liam, ein ehemaliger Klassenkamerad, zu dem sie schon damals eine tiefe Verbindung hatte. Er bietet ihr Hilfe an. Doch kann Lina diese Hilfe annehmen?

Meine Meinung:

Achtung Spoiler! Achtung Trigger!

Die Geschichte wird aus zwei Perspektiven erzählt: Aus der von Lina und aus der von Liam. Und sie spielt sowohl in der Gegenwart als auch in der Vergangenheit.

Lina hat Schlimmes überlebt. Und doch fühlt sie sich nicht lebendig. Ihre beste Freundin fehlt immer noch. Jeden Tag. Trotzdem versucht Lina, ihr Leben zu leben. Steht dabei aber immer irgendwie auf der Bremse. Lina ist ein liebes Mädchen, das Schlimmes überlebt hat. Und trotzdem weitermacht.

„Manchmal frage ich mich, ob man die Vergangenheit wirklich loslassen kann oder ob sie nur deshalb in den Hintergrund tritt, um dann wieder aufzutauchen, wenn man am wenigsten mit ihr rechnet. Wenn man keine Schutzmauern mehr um sich herum hat, die einen vor all dem schützt, vor dem Schmerz, den sie wieder aufleben lässt, als wären keine Jahre vergangen, sondern höchsten Sekunden“ – Seite 21

Als ihr Tom begegnet, ist sie sehr zurückhaltend. Erst durch gutes Zureden ihrer Freundin, dass sie langsam wieder leben sollte und sich auf Menschen einlassen soll, beschließt sie, dass es vielleicht an der Zeit ist. Ohne zu ahnen, dass Tom kein guter Mensch ist.

Es beginnt schleichend. Hier eine merkwürdige Bemerkung. Da ein Satz, der ein unangenehmes Bauchgefühl hinterlässt. Immer öfter Kommentare, was sie alles falsch macht, obwohl Tom ja alles für sie tut. Sagt er zumindest. Grundlose Eifersucht. Kontrolle. Überwachung.

Lina fällt es zu Beginn gar nicht auf, dass die Dinge, die Tom sagt und tut, eben nicht ok sind. Sie entschuldigt sein Verhalten und stellt ihr eigenes Verhalten in Frage. Sie muss sich nur mehr Mühe geben. Denkt sie.

Tom kapselt sie immer mehr ab. Überredet sie, mit ihm zusammenzuziehen. Erklärt ihr, dass ihre Freundinnen kein guter Umgang sind. Isoliert sie immer mehr. Von Freunden und von ihrer Familie. Spricht ihr ihre eigene Wahrnehmung ab.

„Habe ich mich selbst auf dem Balkon ausgesperrt? Bin ich gegen einen Schrank gestolpert? Die Treppen runtergefallen?“ – Seite 269

Das war für mich schwer auszuhalten beim Lesen. Zum einen, weil es mich an meine eigenen Erfahrungen erinnert hat, zum anderen, weil mir – mit dem Abstand – klar ist, wie offensichtlich toxisch das von außen ist. Und zum dritten, weil ich genau weiß, wie es in Lina aussieht. Wie verwirrt sie ist. Wie sie nicht verstehen kann, was genau in den einzelnen Situationen passiert. Weil die Reaktionen vom Tom so absurd sind. Wie sie alles versucht, um es besser zu machen. Ich hätte ihr gerne zugerufen, dass sie damit aufhören kann. Einfach, weil es nichts gibt, was sie besser machen kann. Er wird immer wieder Gründe finden. Egal, wie viel Mühe sie sich gibt.

„Ich starre mir selbst entgegen, ohne zu wissen, welche Frau mir aus dem Spiegel entgegenblickt. Denn ich war mir so sicher, dass mir so etwas niemals passieren würde. Dass ich niemals eine dieser Frauen sein könnte, die sich von ihrem Freund verprügeln lassen. Die es nicht schaffen zu gehen. Die immer wieder Ausreden finden. Für ihn. Und doch stehe ich hier. Jede dritte Frau.“ – Seite 270/271

Bei einem Besuch bei ihren Eltern trifft sie Liam wieder. Liam, dessen Freundin Linas beste Freundin war. Liam, der nach dem Amoklauf ihre Stütze war. So wie sie die seine war.

Dass Tom der Kontakt zu Liam ein Dorn im Auge ist, muss ich nicht extra erwähnen.

Liam ist ein sehr sympathischer Charakter. Er versucht gemeinsam mit seiner Schwester, das elterliche Unternehmen zu retten und seinen kranken Vater zu unterstützen. Das Tierheim seiner Großmutter ebenso. Man schließt ihn schnell ins Herz.

Liam versucht gemeinsam mit Linas anderen Freundinnen, zu ihr durchzudringen. Erfolglos. Aber er gibt nicht auf. Er ist da.

Während Lina sich immer weiter abkapselt und verzweifelt versucht, Tom alles recht zu machen, bekommt sie eine Nachricht von einer jungen Frau aus Toms Vergangenheit. Zuerst lehnt sie den Kontakt ab. Doch als es immer schlimmer wird und Tom auch vor körperlichen Angriffen keinen halt mehr macht, nimmt sie doch Kontakt zu ihr auf auf.

Das ist ihr Glück. Plötzlich hat sie Verbündete, die sie verstehen und ihr ihre Unterstützung anbieten. Und auch Liam und ihre anderen Freudinnen sind da. Gemeinsam helfen sie Lina, aus der Beziehung zu fliehen. So muss man es ausdrücken. Es ist eine Flucht. Nichts anderes.

„Was braucht man, wenn man aus so einer Beziehung kommt? Wenn es Normalität geworden ist, geschlagen zu werden? Wenn man nicht mehr weiß, ob man sich selbst vertrauen kann oder seinen Gefühlen?“ – Seite 314

Lina gelingt es, da rauszukommen. Doch das ist nicht selbstverständlich. Bei weitem nicht.

Ohne Menschen, die einen unterstützen, hat man kaum eine Chance, solch eine Beziehung zu verlassen. Zu groß ist die Angst. Zu klein das Selbstwertgefühl und die eigene Selbstwahrnehmung.

Das Buch hat einen fesselnden Schreibstil. Ich konnte es, aufgrund meiner eigenen Erfahrungen, immer nur in kleinen Häppchen lesen. Zu sehr hat es mich an mich selbst erinnert. Zu oft habe ich mich in dieser Geschichte wiedergefunden.

Ich kann Euch das Buch nur ans Herz legen. Die Geschichte basiert auf einer wahren Geschichte. Das mag umso erschreckender sein, aber eigentlich ist es genau das, was jeder dritten Frau in Deutschland jeden Tag passiert. Und meistens totgeschwiegen wird.

Wir reden von Familiendramen, statt von Femiziden. Wir reden davon, dass die junge Frau, das falsche Outfit anhatte, und der Mann sich deswegen nicht zurückhalten konnte. Wir reden davon, dass wir Frauen uns eben einfach noch mehr Mühe geben müssen, statt darüber zu reden, wann Gewalt beginnt und vor allem – wie man sie verhindern kann. Statt Männer dafür zu sensibilisieren, wo Gewalt eigentlich anfängt.
Wir glauben den Frauen nicht. Suchen die Schuld bei ihnen. Das muss aufhören.

Liam: „Bevor all das mit Lina passierte, habe ich nie wirklich darüber nachgedacht, was es bedeutet, wenn es von Gewalt gegen Frauen gesprochen wird. Vielleicht auch, weil es dabei immer um Frauen geht. Jede dritte Frau, die so etwas erleben muss. Aber wenn jede dritte Frau es erlebt, warum sprechen wir dann nicht darüber, dass jeder dritte Mann zum Täter wird?“ – Seite 388

Dieses Buch ist unheimlich wertvoll. Ich habe mit Lina mitgefühlt und mitgezittert und bin – in dem Wissen um die wahre Begebenheit – dankbar, dass ihr gelungen ist, diese Beziehung zu verlassen.

„Das Problem sind nicht Frauen, die es nicht schaffen, sich aus einer Beziehung voller Gewalt und Manipulation zu lösen. Das Problem ist nicht, dass sie nicht wissen, wo es Hilfe geben könnte, wenn sie es nur schaffen, nach Hilfe zu fragen. Das Problem ist, wie normal Gewalt ist. Für jede Frau auf dieser Welt zu jeder Zeit. Und es ist normal, dass niemand hinsehen oder zuhören will. Manchmal nicht einmal wir selbst – Seite 346

Solltest Du selbst von häuslicher Gewalt betroffen sein, möchte ich Dir folgendes ans Herz legen: Du bist nicht schuld! Bitte sprich mit Menschen darüber, denen Du vertraust. Bitte suche Dir Hilfe. Du bist nicht allein. Und nochmal: Du bist nicht schuld!

Und sollte Dir bei einer Frau in Deinem Umfeld etwas merkwürdig erscheinen. Frage nach. Biete Hilfe an. Sei achtsam. Sei geduldig. Sei da. Es braucht Mut, um Hilfe anzunehmen. Danke.

Hilfetelefon gegen Gewalt an Frauen Tel. 116 016

 Ich bedanke mich herzlich bei Vorablesen und dem Penguin Verlag für das Rezensionsexemplar.