Warnung: Ich möchte vor dem Lesen der Rezension eine Warnung aussprechen. Die Rezension und auch das Buch können Opfer von Gewalttaten triggern. Bitte lest die Rezension und / oder das Buch nur, wenn Ihr Euch wirklich dazu in der Lage fühlt. Danke.

Zum Inhalt:

Die junge Irin Emma ist bildhübsch und die Jungs fliegen auf die 18jährige. Eigentlich kann sie sich aussuchen, mit wem sie was anfängt und das weiß sie auch. Aber festlegen möchte sie sich nicht. Sie steht gerne im Mittelpunkt und unterstreicht ihre Schönheit gerne mit sexy Outfits. Sie weiß, dass sie viel hübscher ist als ihre Freundinnen und manchmal lässt sie sie das auch spüren.

Doch auf der letzten Party verliert Emma die Kontrolle über sich selbst. Sie betrinkt sich und konsumiert Drogen. Danach: Filmriss. Als sie am nächsten Tag vor ihrer Haustür aufwacht, kann sie sich an nichts mehr erinnern. Doch dann tauchen Bilder in den sozialen Netzwerken auf. Bilder, die sie entblößt und ohne Bewusstsein beim Sex mit vier Jungs zeigen. War das einvernehmlich? Ist Emma selber schuld? Hat sie das Verhalten der Jungs mit ihrem Auftreten provoziert? Als Emma die Jungs wegen Vergewaltigung anzeigt, spaltet das Verfahren nicht nur die irische Kleinstadt, in der Emma und ihre Familie leben….

Meine Meinung:

Das Buch ist definitiv keine leichte Kost und polarisiert. Emma ist kein Charakter, den ich wirklich sehr sympathisch finde – ungeachtet dessen, was ihr im späteren Verlauf der Geschichte widerfährt.

Sie ist oberflächlich, will permanent im Mittelpunkt stehen und ist oftmals unfreundlich zu ihren Freundinnen – wenn man die Mädchen überhaupt als Freundinnen bezeichnen kann. Sie will, dass jeder Junge sie hübsch findet und sich am besten nur in sie verliebt. Das unterstreicht sie mit gewagten Outfits. Und sie macht auch vor dem jeweiligen Schwarm ihrer Freundinnen keinen Halt. Das macht es schwer, Emma zu mögen. Tatsächlich fand ich sie und ihre Clique zu Beginn sehr, sehr nervig. Ich glaube, dass ist von der Autorin so gewollt.

Der Schreibstil ist angenehm zu lesen, wobei mir der Mangel an Sympathie für die Protagonistin das Ankommen in der Geschichte sehr erschwert hat und ich mich ziemlich lange durchkämpfen musste.

Die Geschichte ist in zwei Zeiten unterteilt. Die erste Hälfte der Geschichte spielt zum Zeitpunkt der Tat, bzw. ein paar Tage davor und nach „dem Vorfall“. Die zweite Hälfte spielt ein Jahr nach dem Geschehen und kurz vor der Anklageerhebung.

Für Emma ist nach der Tat nichts mehr, wie es einmal war. Nicht nur, dass sie die Vergewaltigung und das Trauma verarbeiten muss – nein – ihre Freundinnen wenden sich von ihr ab, ihre Nachbarn, ja die ganze Kleinstadt fällt ein Urteil und ein „Victim blaming“ allererster Güte beginnt.

„Victim blaming“ bedeutet Schuldumkehr – d. h. nicht mehr die Täter sind schuld an der Tat, sondern eben das Opfer. Durch sein eigenes Verhalten, durch seine Kleidung, durch seine freizügige Art hat das Opfer eben die Tat provoziert und die Täter sind schuldlos. Sie konnten gar nicht anders handeln.  Woher sollten sie wissen, dass – in dem Fall hier – Emma keinen Geschlechtsverkehr mit vier Jungen wollte? Sie hätte ja „nein“ sagen können. Das sie durch Drogen und Alkohol eben genau dazu nicht mehr Lage war – ja zeitweise auch bewusstlos war – spielt für die Gesellschaft in dem Fall keine Rolle. Abgesehen davon war sie ja sehr aufreizend angezogen. Wofür, wenn nicht für Sex? Hätte sie halt nicht tun dürfen.  Dann wäre das eben nicht passiert. Und wieder geschieht an dieser Stelle die Schuldumkehr.  Das auf den Bildern klar ersichtlich war, dass Emma bewusstlos ist, bleibt unbeachtet. Dafür ist Emmas Ruf allen zu bekannt. Für mich nicht nachvollziehbar.

Auch wenn Emma nicht ausdrücklich „Nein“ gesagt hat, so hat sie eben aber auch nicht ausdrücklich „Ja“ gesagt.

Bedeutet „kein Nein“ dann automatisch ein „ja“?

Das kann ich mit einem klaren „Nein“ beantworten. Nur „Ja“ bedeutet „Ja“.

Und damit ist es in meinen Augen eben völlig egal, ob Emma nicht „nein“ gesagt. Sie hat eben nicht „ja“ gesagt, sie war dazu auch nicht mehr in der Lage und für mich ist und bleibt die Verantwortung und somit auch die „Schuld“ auf Seiten der Jungs.

Sicherlich hat sich Emma nach der Tat sich nicht so verhalten, wie man das von Vergewaltigungsopfern allgemeinhin erwartet. Was auch immer diese Erwartung beinhaltet. Das erschüttert die ohnehin schon geringe Glaubwürdigkeit des Mädchens gewaltig und bringt das Leben von Emma und ihrer Familie zu einem tiefen Fall von gesellschaftlichem und beruflichem Ansehen. Die Tat zieht weite Kreise. Und nichts ist mehr wie zuvor.

Emma will mutig sein. Sie will, dass die Täter zur Rechenschaft gezogen werden und als die Staatsanwaltschaft Anklage erheben will, ist sie zuerst dazu bereit. Doch sie und ihre Familie stehen allein da. Der Fall zieht nationale Kreise. Emmas Eltern kommen mit ihrer Tochter nicht mehr zurecht.

Tatsächlich ist das, das nächste, das mich fassungslos zurücklässt: Emmas Eltern, die sie lieben und schützen sollen, die für sie da sein sollen, kommen mit der Situation überhaupt nicht zurecht. Sie ziehen sich von ihr zurück. Sprechen kaum noch mit ihr. Geben ihr das Gefühl, dass sie „falsch“ ist. Dass sie „schuld“ ist. Nur ihr Bruder ist für Emma da und bekräftigt sie immer wieder, die Stärke zu haben, das Ganze durchzustehen, damit es Gerechtigkeit gibt. Das war schwer auszuhalten für mich.

Aber – Achtung Spoiler – irgendwann hat Emma keine Kraft mehr. Keine Kraft, die Bedrohungen, die Häme, die Erniedrigungen, den Spießrutenlauf im Dorf und in den sozialen Netzwerken, im Radio und Fernsehen zu ertragen. Sie gibt auf. Zieht die Anzeige zurück.

Auch wenn ich weiß, dass diese Geschichte im speziellen fiktiv ist, so weiß ich doch auch, dass so etwas in der Realität viel zu häufig geschieht. Sei es auf Partys oder aber auch im häuslichen Bereich. In Partnerschaften. Ehen. Und viel zu oft wird den Frauen die Schuld dafür gegeben.

Und wenn eine Frau den Mut findet, doch die Wahrheit zu sagen, Anzeige zu erstatten oder damit an die Öffentlichkeit zu gehen, dann geschieht in viel zu vielen Fällen diese Schuldumkehr. Dann werden Gründe gesucht, warum die Frau eben selbst schuld ist an der Situation. Sie hat den Mann provoziert. Sie hat sich aufreizend angezogen. Sie ist seine Frau, er hat das Recht dazu. Die Liste der Gründe für die Schuld des Opfers – und damit die Unschuld des Täters ist schier endlos.

Seit 2017 gilt in Deutschland die Istanbul-Konvention. Um Frauen vor Gewalt zu schützen. Doch das interessiert die offiziellen Stellen und die Gesellschaft eher wenig.

Versteht mich bitte nicht falsch. Es gibt sicherlich auch den Fall, dass Männer zu Unrecht beschuldigt werden, aus Hass, Habgier, oder, oder, oder….

Die Wahrheit zu erkennen ist mitunter sehr, sehr schwer. ABER das gibt niemandem das Recht, die Frauen von vorneherein durch ihr Auftreten oder ihre Kleidung als „Schuldige“ darzustellen. Und das geschieht in unserer Gesellschaft viel zu oft. Die Statistiken sprechen für sich.

Abschließend kann ich sagen: ein Roman, der eben nicht „schön“ ist. Der nah geht. Zum Nachdenken anregt. Über uns, die Gesellschaft, das eigene Verhalten. Die Frage nach „falsch“ und „richtig“. Nach „Schuld“ und Unschuld“. Mich wird dieses Buch jedenfalls noch eine Weile beschäftigen.