[Rezensionsexemplar]

Zum Inhalt:

Hannah steht mitten in der Blüte ihres Lebens. Alles ist großartig. Sie hat einen liebenden Ehemann, großartige Kinder, einen Job, der sie erfüllt. Sie ist gutaussehend, hat ein tolles Zuhause und keine Geldsorgen. Alles ist super.

Doch dann geschieht etwas, das sie vollkommen aus dem Gleichgewicht bringt. Alles stürzt zusammen. Ihr ganzes Leben. Ihr ganzes Sein. Und erst, als es schon fast zu spät ist, wendet sich das Blatt…

Meine Meinung:

Die Geschichte basiert auf einer wahren Begebenheit. Das erst einmal vorweg. Und sie ist keine leichte Kost. Vermutlich sollte ich an dieser Stelle eine Triggerwarnung aussprechen.

Luisa Sturm nimmt uns mit auf eine Reise durch Hanna Uccello‘s Geschichte. Eine Kindheit, die nicht besonders idyllisch war. Die Eltern oft am Streiten, der kleine Bruder sehr krank. Hannah ist oft auf sich allein gestellt.

Die Geschichte wird in der Ich-Perspektive erzählt und spielt zum einen in Hannahs Kindheit in Form von Erinnerungen / Rückblicken und zum anderen in der Zeit vor dem Zusammenbruch und in der Zeit danach.

Hannah ist ein toughes junges Mädchen, dem in früher Kindheit etwas sehr Schlimmes widerfährt. Doch sie macht einfach weiter. Mit ihrem Alltag. Schiebt das Erlebte weit weg.

„Angst wurde mein unsichtbarer Begleiter, der überallhin mitkam. Zu Freunden, aufs Gymnasium, zum Sport. In die Schwimmhalle“ – Seite 33

Sie verdrängt es. Erinnert sich nicht mehr. Lebt ihr Leben weiter. Wird erwachsen. Ist sehr autark. Tough. Mutig. Stark. Sich selbst genug. Hat Affären. Doch hält immer etwas von sich selbst zurück.

„Ich habe die Liebe kennen gelernt. Und den Schmerz. Ich habe den Sex gelernt und das auf genialem Niveau. Die Liebe will ich nicht mehr. Sie ist grausam und kann dir bei lebendigem Leib das Herz aus der Brust reißen“ – Seite 113

Verliebt sich dann doch. Sehr. Gründet eine Familie. Bekommt Kinder, die sie von Herzen liebt.

Doch dann. Ein kurzer Augenblick, der alles verändert. Ein kurzer Moment, der in ihrem Inneren die Büchse der Pandora öffnet und die Dunkelheit und Angst, die tief verborgen waren, hochholt und alles zusammenbrechen lässt, was Hannah und ihr Leben bisher ausgemacht haben.

„Der Moment des Ausbruchs dieser seltsamen Panik ist immer da, wie ein Wolf, der zum Sprung ansetzt. Mitten in Gesprächen vor dem Warteraum zur Theraband-Gymnastik, beim Ausziehen für die Massage, im Gruppenraum beim Bewegen der riesigen Gummibälle. Zack, der Wolf springt mich an. Aus dem Nichts: Herzklopfen, Panikattacke, Flucht-Instinkt. Woher kommt dieses Scheißgefühl?“ – Seite 92

Und Hannah, die diesen einen Augenblick nicht wirklich wahrgenommen hat, versteht nicht, was plötzlich mit ihr los ist. Woher die Schmerzen kommen. Die Angst. Die Aussetzer. Es ist, als würde ihr das Leben vollkommen entgleiten, ohne, dass sie etwas dagegen tun kann. Sie ist ratlos. Ihr Mann ist ratlos. Die Ärzte sind ratlos. Niemand kann ihr helfen. Niemand kann etwas tun. Jeder Therapieansatz scheitert. Nichts hilft. Einfach gar nichts.

„Die Angst ist wie eine Sturmflut, die langsam beginnt, mit Wellen, die sich klein brechen, größer werden, sich dann haushoch türmen und mein Herz wie einen abgebrochenen Ast hin- und herwerfen“ – Seite 206

Hannah will aufgeben. Ihr Leben beenden. Sie sieht keinen Sinn mehr. Ihr Mann fleht sie an, zu kämpfen. Jeden Tag aufs Neue. Doch Hannahs Kräfte und ihr Wille zu kämpfen, schwinden mit jedem Tag mehr.

Und dann, als die Hoffnung schon fast verschwunden war, bekommt Hannah die Hilfe, die sie braucht und sie ist mutig genug, diese anzunehmen. Zum Glück.

„Es gehört mehr Mut dazu, Hilfe anzunehmen, als sie abzulehnen.“ – Seite 210

Als es fast schon zu spät ist, findet Hannah heraus, was mit ihr los ist. Im allerletzten Moment gelingt es ihr, Zugang zu ihren Erinnerungen zu bekommen. Schmerzhafte Erinnerungen. Erinnerungen, die ihr große Angst machen. Gleichwohl ist ihr klar, dass sie durch diese Angst durchgehen muss, um das Erlebte verarbeiten zu können. Es hinter sich lassen zu können. Neu anfangen zu können. Zu heilen.

Und das tut sie. Eine mutige Frau.

„Vieles liegt im Dunkeln. Meine Seele hat das, was zu schrecklich war, um es anzunehmen, in einen Raum meines Unterbewusstseins gesperrt. An der Tür steht „Vergessen“. Weil es zu schrecklich war. Zu unaussprechlich. Und dort war es gut verwahrt, viele Jahre, Jahrzehnte lang unberührt. Wie auch immer es passiert ist, irgendwie wurde dieser Raum nun geöffnet, und all das Furchtbare ist herausgekommen wie ein tödlicher Drache. (…)“

„Um zu heilen, muss ich die Angst aushalten und den Drachen zu meinem besten Freund machen.“  – Seite 255

Das Buch hat mich sehr berührt. Mich an mich selbst und meine eigenen Erlebnisse erinnert. Angst ist etwas Furchtbares. Und doch mein täglicher Begleiter. Seit vielen Jahren.

Aber Luisa Sturm hat recht. Das Aushalten der Angst ist unerlässlich, um sie zu verarbeiten. Um einen Neuanfang wagen zu können. Um sich selbst wieder zu finden.

Die Geschichte geht unter die Haut. Sie ist nicht leicht zu verdauen. Steckt voller Dämonen. Und ist gleichzeitig auch eine sehr, sehr wichtige Geschichte.

Hannah gelingt es, ihre Dämonen zu vertreiben. Frieden zu finden. Einen Neuanfang zu wagen.

„Ich bin mir sicher, dass ich nicht mehr dieselbe Frau bin, denn ich habe gelernt, Dinge neu zu bewerten. Das heißt, ich werde anfangen, Ja zu sagen, wenn ich Ja meine. Und ich werde Nein sagen, wenn ich Nein meine. Ich werde Stopp sagen, wenn jemand meine Grenzen überschreitet. Ich werde aufhören, Dinge zu tun, die ich nicht tun will. Ich werde anfangen, mich selbst in Schutz zu nehmen, gut für mich zu sorgen und meine eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Ohne Schuldgefühle. Ich werde sagen, wenn mich etwas verletzt“ – Seite 258/259

Ich denke, diese Sätze sollten wir uns alle sehr zu Herzen nehmen und nach ihnen handeln. Ich denke, dass das sehr wichtig ist. Wenn es auch nicht immer leicht ist.

Hannah hat Glück, dass sie nicht allein ist. Sie nicht allein durch die Angst und den Kummer gehen muss. Ihre Familie ist immer da für sie. Ihr Mann wie ein Fels in der Brandung an ihrer Seite steht. Unerschütterlich. Das ist so wertvoll. Und doch nicht typisch. Wie oft wenden sich Menschen ab, weil jemand nicht mehr so wie vorher funktioniert.

Wir sollten alle mehr da sein für die Menschen in unserem Umfeld, die uns brauchen. Einfach da sein. Meist hilft das schon sehr.

„Du musst nicht perfekt sein. Du musst nicht alles mit Dir allein ausmachen. Du darfst schwach sein und bist trotzdem ein wertvoller Mensch“ – Seite 212

Ich glaube, dass ist einer der wertvollsten Sätze in diesem Buch. Ein wertvoller Mensch sein, trotz Schwäche. Klingt fast utopisch in der Leistungsgesellschaft, in der wir uns befinden. Und trotzdem ist es schlicht die Wahrheit. Und der Gedanke tut einfach nur gut.

Von mir gibt es für „Riss in der Schüssel“ eine Leseempfehlung. Aber nehmt Euch Zeit für das Buch. Es ist keine leichte, aber eine sehr wertvolle und wichtige Lektüre.

Ich bedanke mich herzlich bei Luisa Sturm für das Rezensionsexemplar und die lieben und herzlichen Worte an mich persönlich.