[Eigenes Exemplar]

Zum Inhalt:

Mika weiß nicht mehr, was eine „richtige“ Familie ist. Das ist schon lange her, dass seine Familie eine solche war. Seine Tage bestehen aus Konflikten mit dem ständig betrunkenen, bekifften  und gewalttätigen Vater, aus dem Versuch, seine Mutter vor ihm zu schützen und zur Trennung zu bewegen, dem ständigen Hunger und dem Versuch, sein Leben trotzdem für alle anderen normale erscheinen zu lassen.
Als Drogendealer, denen sein Vater noch etwas schuldet, Mika zwingen, für ihn Drogen zu verkaufen, wird er durch Zufall in der Schule mit den Drogen erwischt. Von da an geht alles ganz schnell. Er kommt in eine Pflegefamilie – weit weg von seinen Eltern und obwohl er stark traumatisiert ist, wird ihm schnell klar, was das für eine Chance ist. Doch kann jemand mit seiner Geschichte, die Vergangenheit hinter sich lassen und ein ganz normales Leben führen? Ausgerechnet jemand wie er? Hat er das überhaupt verdient?

Meine Meinung:

Puuh, was für eine Geschichte. Ich war schon nach der ersten Seite vollkommen im Buch gefangen. Was aber zum Teil auch an den Parallelen zu meiner eigenen Kindheit liegt. Ich bin selbst als Pflegekind aufgewachsen und habe meine eigenen Erfahrungen mit Suchtkranken Eltern gemacht. Mikas Wunsch nach einer „richtigen“ Familie – wie auch immer „richtige“ Familie definiert wird, kann ich sehr nachvollziehen.

Die Geschichte ist einfach nur schön. Die Pflegefamilie, in die Mika dann – nach viel zu langer Zeit – kommt (und auch da frage ich mich oft, warum unser System so lange braucht, um Kindern zu Hilfe zu eilen), ist einfach nur bezaubernd. Da sind zum einen seine Pflegeeltern Ben und Paul, Oma Elli und seine neuen Geschwister Joanna, Kati und Oskar. Alle nehmen ihn herzlich auf, sind behutsam und offen. Versuchen, ihm Zeit zu geben, sich an sie zu gewöhnen und trotzdem da zu sein, wenn er ein offenes Ohr braucht, eine Umarmung oder jemanden, der mit ihm die Albträume durchsteht.

„Liebe kann furchtbar sein. Abhängigkeit ist grausam. Aber zusammen? Zusammen ist es die Hölle“ – Seite 92

„Hier wird Dir nichts passieren. Die schmerzliche Wahrheit ist: Dir kann überall etwas passieren. Etwas Schlimmes, etwas, das wehtut und das du nicht willst. Der sicherste Ort der Welt kann zu deiner persönlichen Hölle werden und es spielt verflucht nochmal keine Rolle, dass das nicht so sein sollte. Jedes Leben ist anders – und in meinem gibt es nichts, das sicher ist.“ – Seite 112

Wie sehr kann ich diese Gedanken und Gefühle nachvollziehen. Ich hätte Mika am liebsten in den Arm genommen. Festzustellen, dass der Ort, der der sicherste der Welt für ein Kind sein sollte, der gefährlichste ist, ist etwas, mit dem man nur schwer klarkommen kann.

„Es riecht nach einem Zuhause“ – Seite 115

Einer der ersten Gedanken, die Mika in durch den Kopf gehen, als er bei seiner Pflegefamilie ankommt. Und ich finde es wunderbar, dass ihm das gleich bewusst wird. Dass er das zu schätzen weiß. Auch wenn es einige Zeit braucht, bis er dieses Zuhause annehmen kann. Bis er sich dort sicher fühlen kann. Angenommen. Geliebt. Das passiert nicht über Nacht, aber er ist – und das finde ich sehr angenehm in dieser Geschichte – gewillt, alles zu tun, damit es ein Zuhause für ihn werden kann. Er versucht, seine Dämonen in den Griff zu kriegen. Auch wenn es eine Weile braucht. Und er hat Glück. Denn seine Pflegefamilie weiß, dass es Zeit braucht, all den Schrecken zu überwinden und in einem halbwegs normalen Leben wieder Fuß zu fassen und sie unterstützen ihn auf eine liebevolle und respektvolle Art und Weise.

„Ich werde umarmt. Einfach so.

Willkommen, mein Junge. Willkommen in unserer Familie, sagt sie und ich muss den Schluchzer unterdrücken, der in mir aufsteigen will. Ich will weinen und schreien, will meine Arme um sie schlingen und sie gleichzeitig wegstoßen.
Ich kann nicht glauben, dass ich eine echte Chance bekommen soll. Das erscheint mir unmöglich. Wie Schnee im Sommer“ – Seite 120/121

Eine Chance. Menschen die einen bedingungslos lieben. Das ist etwas, dass vielen Kindern automatisch passiert, wenn sie auf die Welt kommen. Das sie Eltern haben, die sie lieben und beschützen. Für sie da sind.
Dass das nicht selbstverständlich ist, wird Kindern wie Mika oder mir sehr früh bewusst. Das Zuhause nicht unbedingt Sicherheit bedeutet.

Es braucht Zeit, das anzunehmen, wenn einem dann doch Menschen begegnen, die einen bedingungslos lieben und so annehmen, wie man ist. Je später das geschieht, desto schwieriger ist das zu glauben. Gleichzeitig fühlt es sich so wunderbar an. Und wird niemals eine Selbstverständlichkeit werden.

„Natürlich sehe ich das hier als eine Chance. Eine, von der ich nie glaubte, sie zu bekommen. Trotzdem werde ich andere Menschen nie wieder so nah an mich heranlassen, dass sie mich auf diese eine unvergleichliche Art verletzen können, wie meine Familie es getan hat. – Seite 186

Mika ist traumatisiert und er hat es schwer, Vertrauen zu anderen Menschen zu fassen. Gleichwohl sehnt er sich danach. Und auch das fühle ich in jedem Moment, in dem ich diese Geschichte gelesen habe.

Das Buch ist einfach wundervoll. Und es ist wichtig. Wichtig für Menschen wie mich, die durch die Geschichte von Mika einmal mehr erleben dürfen, dass es möglich ist, solche Erfahrungen ein Stück weit hinter sich lassen zu können. Erfahren zu dürfen, dass es Menschen gibt, die dich – trotz aller Dunkelheit, die dich Dein Leben lang begleitet, so lieben können, wie du bist.

Auch wenn wir vielleicht niemals einen Teil unsere Misstrauens und unserer Vorsicht loslassen werden, so genießen wir doch jeden einzelnen Moment, in dem jemand unsere Familie sein will. Unsere Familie ist. Und es wird niemals selbstverständlich sein,. In keinem Moment.

Familie. Nur ein Wort mit sieben Buchstaben. Doch für manche Menschen ist es die Chance auf alles. Auf die ganze Welt. Einfach auf Alles.

„Danke, sage ich und ich wünschte, sie wüssten, was mir diese Chance bedeutet. Alles, was sie tun. Dass sie an mich glauben. Dass sie etwas in mir gesehen haben, als ich es nicht konnte. Dass sie es jetzt tun, obwohl ich es immer noch nicht kann. Nicht ganz. Nicht immer. – Seite 249

„Häusliche Gewalt ist nicht vorbei, wenn sie endet. Ich bin von daheim raus, aber es verfolgt mich, haftet an mir wie Kleber, den man nicht lösen kann. Es tut weh, immer mehr zu erkennen, was mir genommen wurde und was mir stattdessen gegeben wurde. – Seite 334

Die Geschichte hat mich unendlich berührt und ich habe mich selbst in Mika gefunden. In seinen Emotionen. In seinen Gedanken. Seinen Wünschen und Träumen. Seinen Fragen.

Und ich kann Euch alle diese Geschichte nur ans Herz legen. Und Euch bitten: seid für jemanden anderen die Familie, die derjenige nie hatte. Familie definiert sich nicht über Blutsverwandschaft.

Ich habe heute die beste Familie, die ich mir nur wünschen konnte. Und alles andere konnte ich hinter mir lassen. Und ich danke meiner Familie von ganzem Herzen, dass sie Teil meines Lebens sind und mich so annehmen können, wie ich bin. Bedingungslos. In jedem Moment. Danke. Ihr wisst schon, wer gemeint ist….

P.S. Und legt Euch Taschentücher hin, wenn ihr das Buch lest. Ihr werdet sie brauchen.